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Das Lächeln der Frauen

Nicolas Barreau • Das Lächeln der Frauen
Nicolas Barreau
Das Lächeln der Frauen
Roman

336 Seiten im Format 11,5 x 18,5 cm
Gebunden mit Schutzumschlag,
Lesebändchen und Vorsatz
WG 1110

Übersetzer: 
Sophie Scherrer
Preis: 
€ 18,00 (D) / € 18,50 (A)
ISBN: 
978-3-85179-144-0
Lieferstatus: 
lieferbar
Erscheinungstermin: 
September 2010

Es gibt keine Zufälle! Davon ist Aurélie, die nach dem Tod ihres Vaters dessen Restaurant Le Temps des Cerises übernommen hat, überzeugt. An jenem verhängnisvollen Freitag im November, als Aurélie so unglücklich ist wie nie zuvor, fällt ihr in einer Buchhandlung ein Roman mit dem Titel Das Lächeln der Frauen ins Auge. Verwundert stößt sie auf einen Satz, der auf ihr eigenes kleines Restaurant verweist.

Nach der Lektüre der ganzen Geschichte will Aurélie plötzlich nicht mehr sterben. Eines aber will sie unbedingt - den Autor dieses Romans kennenlernen, der ihr, davon ist sie überzeugt, das Leben gerettet hat, ohne dies auch nur zu ahnen. Sie möchte sich bedanken und ihn in ihr kleines charmantes Restaurant einladen, das er ja offensichtlich bereits zu kennen scheint. Doch ihr Wunsch erweist sich als schwieriges, ja fast unmögliches Unterfangen. Alle Versuche, mit dem scheuen Autor über seinen französischen Verlag in Kontakt zu treten, werden von dem bärbeißigen Lektor André abgeblockt, der ihre enthusiastischen Briefe nur widerwillig weiterleitet.

Doch Aurélie gibt nicht auf, und als eines Tages tatsächlich eine Nachricht von dem zurückhaltenden Schriftsteller in ihren Briefkasten flattert, kommt es zu einer ganz anderen Begegnung, als sie es sich vorgestellt hat ...

»Die Geschichte, die ich erzählen möchte, beginnt mit einem Lächeln. Sie endet in einem Restaurant, das sich in Saint-Germain-des-Prés befindet, dort, wo das Herz von Paris schlägt ...«
(Nicolas Barreau)

Nicolas Barreau

Nicolas Barreau hat sich mit seinen im Thiele Verlag erschienenen Romanen Die Frau meines Lebens, Du findest mich am Ende der Welt und Eines Abends in Paris ein begeistertes Publikum erobert. Sein Buch »Das Lächeln der Frauen brachte ihm den internationalen Durchbruch, es erschien in 36 Ländern, war in Deutschland mit weit über einer Million verkauften Exemplaren »Jahresbestseller 2012“ und wird seit drei Jahren in unterschiedlichen Inszenierungen an deutschen Theatern gespielt.

"Unglaublich komisch, verführerisch, witzig und romantisch!"

Christine Westermann

„Lassen Sie sich keine Blumen zum Valentinstag schenken, sondern Das Lächeln der Frauen von Nicolas Barreau.
Eine gelungene Mischung aus Cyrano de Bergerac, Chocolat und Gut gegen Nordwind.“ 

BRIGITTE
Frühjahr 2011
Frankreich

1
Letztes Jahr im November hat ein Buch mein Leben gerettet. Ich weiß, das klingt jetzt sehr unwahrscheinlich. Manche mögen es gar für überspannt halten, wenn ich so etwas sage, oder melodramatisch. Und doch war es genau so.
Dabei hatte nicht einmal jemand auf mein Herz gezielt und die Kugel wäre wundersamerweise in den Seiten einer dicken, in Leder gebundenen Ausgabe von Baudelaires Gedichten teckengeblieben, wie man es manchmal in Filmen sehen kann. So ein aufregendes Leben führe ich nicht.
Nein, mein dummes Herz war bereits vorher verwundet worden. An einem Tag, der wie jeder andere zu sein schien.
Ich erinnere mich noch genau. Die letzten Gäste im Restaurant - eine Gruppe von ziemlich lauten Amerikanern, ein diskretes japanisches Paar und ein paar diskutierwütige Franzosen - waren wie immer lange sitzengeblieben, und die Amerikaner hatten sich nach dem Gâteau au chocolat mit vielen »Aaahs« und »Ooohs« die Lippen geleckt.
Suzette hatte, nachdem der Nachtisch serviert war,
wie immer gefragt, ob ich sie wirklich noch brauche,
und war dann glücklich davongeeilt. Und Jacquie war
wie immer schlecht gelaunt gewesen. Dieses Mal hatte
er sich über die Eßgewohnheiten der Touristen ereifert
und die Augen verdreht, während er die leergefegten
Teller scheppernd in die Spülmaschine warf.
»Ah, les Américains! Verstehen nichts von französischer
Cuisine, rien du tout! Essen immer die Dekoration mit -
warum muß ich für Barbaren kochen, ich hätte gute Lust,
alles hinzuschmeißen, es macht mir schlechte Laune!«
Er hatte sich die Schürze losgebunden und mir beim
Hinausgehen sein bonne nuit entgegengebrummt, bevor
er sich auf sein altes Fahrrad schwang und in der kalten
Nacht verschwand. Jacquie ist ein großartiger Koch
und ich mag ihn sehr, auch wenn er seine Griesgrämigkeit
vor sich herträgt wie einen Topf Bouillabaise.
Er war schon Koch im Temps des Cerises, als das kleine
Restaurant mit den rot-weiß gewürfelten Tischdecken,
das etwas abseits vom belebten Boulevard Saint-
Germain in der Rue Princesse liegt, noch meinem
Vater gehörte. Mein Vater liebte das Chanson von der
»Zeit der Kirschen«, die so schön ist und so schnell vorbei,
dieses zugleich lebensbejahende und etwas wehmütige
Lied über Liebende, die sich finden und wieder
verlieren. Und obwohl sich die französische Linke dieses
alte Lied später zur inoffiziellen Hymne erkoren hat, als
ein Bild für Aufbruch und Fortschritt, glaube ich, daß der
wahre Grund, weshalb Papa sein Restaurant so nannte, weniger
dem Gedenken an die Pariser Kommune geschuldet
war, sondern ganz persönlichen Erinnerungen.
Dies ist der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, und
wenn ich nach der Schule mit meinen Heften in der Küche
saß, umgeben vom Geklapper der Töpfe und Pfannen
und von tausend verheißungsvollen Gerüchen, konnte ich
sicher sein, daß Jacquie immer eine kleine Leckerei für
mich hatte.
Jacquie, der eigentlich Jacques Auguste Berton heißt,
kommt aus der Normandie, wo man bis zum Horizont
sehen kann, wo die Luft nach Salz schmeckt und das
endlose Meer, über dem Wind und Wolken ihr rastloses
Spiel treiben, dem Auge nicht den Blick verstellt. Mehr
als einmal am Tag versichert er mir, daß er es liebt, weit
zu gucken, weit! Manchmal wird ihm Paris zu eng und
zu laut, und dann sehnt er sich an die Küste zurück.
»Wer einmal den Geruch der Côte Fleurie in der
Nase hat, wie kann der sich in den Pariser Abgasen
wohlfühlen, sag mir das!?«
Er wedelt mit dem Fleischmesser und schaut mich
vorwurfsvoll mit seinen großen braunen Augen an, bevor
er sich mit einer ungeduldigen Bewegung die dunklen
Haare aus der Stirn wischt, die mehr und mehr - ich
sehe es mit einer gewissen Rührung - von silbrigen Fäden
durchzogen sind.
Es ist doch erst ein paar Jahre her, daß dieser stämmige
Mann mit den großen Händen einem vierzehnjährigen
Mädchen mit langen dunkelblonden Zöpfen
gezeigt hat, wie man die vollkommene Crème brûlée zubereitet.
Es war das erste Gericht, mit dem ich meine
Freundinnen beeindruckte.
Jacquie ist natürlich nicht irgendein Koch. Als junger
Mann hat er in der berühmten Ferme Saint-Siméon gearbeitet,
in Honfleur, der kleinen Stadt am Atlantik mit
diesem ganz besonderen Licht - Fluchtpunkt der Maler
und Künstler. »Das hatte schon etwas mehr Stil, meine
liebe Aurélie.«
Doch so viel Jacquie auch schimpft - ich lächle still,
weil ich weiß, daß er mich nie im Stich lassen würde. Und
so war es auch in jenem letzten November, in dem der
Himmel über Paris weiß wie Milch war und die Menschen
mit dicken Wollschals durch die Straßen hasteten.
Ein November, der so viel kälter war als alle anderen, die
ich in Paris erlebt hatte. Oder kam mir das nur so vor?
Wenige Wochen zuvor war mein Vater gestorben.
Einfach so, ohne Vorwarnung, hatte sein Herz eines Tages
beschlossen, nicht mehr zu schlagen. Jacquie fand
ihn, als er nachmittags das Restaurant aufschloß.
Papa lag friedlich auf dem Fußboden - umgeben von
frischen Gemüsen, Lammkeulen, Jakobsmuscheln und
Kräutern, die er morgens auf dem Markt gekauft hatte.
Er hinterließ mir sein Restaurant, das Rezept für sein
berühmtes Menu d'amour mit dem er angeblich vor vielen
Jahren die Liebe meiner Mutter gewonnen hatte (sie
starb, als ich noch sehr klein war, deswegen werde ich
nie wissen, ob er nicht doch geschwindelt hat), und einige
kluge Sätze über das Leben. Er war achtundsechzig
Jahre alt, und ich fand das viel zu früh. Aber Menschen,
die man liebt, sterben immer zu früh, nicht wahr, egal,
wie alt sie werden.
»Die Jahre bedeuten nichts. Nur was in ihnen geschieht«,
hatte mein Vater einmal gesagt, als er Rosen auf
das Grab meiner Mutter legte.
Und als ich im Herbst etwas verzagt, aber doch entschlossen
in seine Fußstapfen trat, traf mich die Erkenntnis,
daß ich nun ziemlich allein auf der Welt war,
mit voller Wucht.
Gott sei Dank hatte ich Claude. Er arbeitete als Bühnenbildner
am Theater, und der riesige Schreibtisch, der
in seiner kleinen Atelierwohnung im Bastilleviertel unter
dem Fenster stand, quoll stets über von Zeichnungen
und kleinen Modellen aus Karton. Wenn er einen größeren
Auftrag hatte, tauchte er manchmal für ein paar
Tage ab. »Ich bin nächste Woche nicht vorhanden«, sagte
er dann, und ich mußte mich erst daran gewöhnen,
daß er tatsächlich weder ans Telefon ging noch die Tür
öffnete, obwohl ich Sturm klingelte. Kurze Zeit später
war er wieder da, als wäre nichts gewesen. Er schien am
Himmel auf wie ein Regenbogen, nicht zu fassen und
wunderschön, küsste mich übermütig auf den Mund,
nannte mich »meine Kleine«, und die Sonne spielte in
seinen goldblonden Locken Versteck.
Dann nahm er mich an der Hand, zog mich mit sich
fort und präsentierte mir mit flackerndem Blick seine
Entwürfe.
Sagen durfte man nichts.
Als ich Claude erst einige Monate kannte, hatte ich
einmal den Fehler begangen, meine Meinung unbefan10
gen zu äußern, und mit schiefgelegtem Kopf laut überlegt,
was man noch verbessern könnte. Claude hatte mich
fassungslos angestarrt, seine wasserblauen Augen schienen
fast überzulaufen, und mit einer einzigen heftigen Handbewegung
hatte er seinen Schreibtisch leergefegt. Farben,
Stifte, Blätter, Gläser, Pinsel und kleine Kartonstücke
wirbelten durch die Luft wie Konfetti, und das filigrane,
in sorgsamer Arbeit gefertigte Bühnenmodell für Shakespeares
Sommernachtstraum zerbrach in tausend Stücke.
Seither hielt ich mich mit kritischen Bemerkungen
zurück.
Claude war sehr impulsiv, sehr wechselhaft in seinen
Stimmungen, sehr zärtlich und sehr besonders. Alles an
ihm war »sehr«, ein wohltemperiertes Mittelmaß schien
es nicht zu geben.
Wir waren damals ungefähr zwei Jahre zusammen,
und es wäre mir nie in den Sinn gekommen, die Beziehung
zu diesem komplizierten und höchst eigenwilligen
Menschen infrage zu stellen. Wenn man genau hinsieht,
hat doch jeder von uns seine Kompliziertheiten, seine
Empfindlichkeiten und Spleens. Es gibt Dinge, die wir
tun, oder Dinge, die wir niemals tun würden, oder nur
unter ganz bestimmten Umständen. Dinge, über die andere
lachen, den Kopf schütteln, sich wundern.
Merkwürdige Dinge, die nur zu uns gehören.
Ich zum Beispiel sammle Gedanken. In meinem
Schlafzimmer gibt es eine Wand mit bunten Zetteln voller
Gedanken, die ich festgehalten habe, damit sie mir in
ihrer Flüchtigkeit nicht verlorengehen. Gedanken über
belauschte Gespräche im Café, über Rituale und warum
sie so wichtig sind, Gedanken über Küsse im Park
bei Nacht, über das Herz und über Hotelzimmer, über
Hände, Gartenbänke, Photos, über Geheimnisse und
wann man sie preisgibt, über das Licht in den Bäumen,
und über die Zeit, wenn sie stillsteht.
Meine kleinen Notizen haften an der hellen Tapete
wie tropische Schmetterlinge, eingefangene Momente,
die keinem Zweck dienen außer dem, in meiner Nähe
zu bleiben, und wenn ich die Balkontür öffne und ein
leichter Luftzug durch das Zimmer streicht, zittern sie
ein wenig, so als wollten sie davonfliegen.
»Was ist das?!« Claude hatte ungläubig die Augenbrauen
hochgezogen, als er meine Schmetterlingssammlung
zum erstenmal sah. Er war vor der Wand stehengeblieben
und hatte interessiert einige Notizen gelesen.
»Willst du ein Buch schreiben?«
Ich wurde rot und schüttelte den Kopf.
»Um Gottes willen, nein! Ich mache das ...«, ich
mußte selbst einen Moment überlegen, fand aber keine
wirklich überzeugende Erklärung, »weißt du, ich mache
das einfach so. Kein Grund. So wie andere Leute Photos
machen.«
»Kann es sein, daß du ein kleines bißchen versponnen
bist, ma petite?« hatte Claude gefragt, und dann hatte
er die Hand unter meinen Rock geschoben. »Aber das
macht nichts, gar nichts, ich bin ja auch ein bißchen
verrückt ...«, er strich mit den Lippen über meinen Hals
und mir wurde ganz heiß, »... nach dir.«
Wenige Minuten später lagen wir auf dem Bett, meine
Haare gerieten in ein wundervolles Durcheinander,
die Sonne schien durch die halb zugezogenen Gardinen
und malte kleine zitternde Kreise auf den Holzfußboden,
und anschließend hätte ich einen weiteren Zettel
an die Wand heften können Über die Liebe am Nachmittag.
Ich tat es nicht.
Claude hatte Hunger, und ich machte Omelettes für
uns, und er sagte, ein Mädchen, das solche Omelettes
machen könne, dürfe sich jeden Spleen erlauben. Also
hier noch etwas:
Immer wenn ich unglücklich oder unruhig bin, gehe
ich los und kaufe Blumen. Natürlich mag ich Blumen
auch, wenn ich glücklich bin, aber an diesen Tagen, wenn
alles schiefläuft, sind Blumen für mich wie der Beginn
einer neuen Ordnung, etwas, das immer vollkommen ist,
egal, was passiert.
Ich stelle ein paar blaue Glockenblumen in die Vase, und
es geht mir besser. Ich pflanze Blumen auf meinem alten
Steinbalkon, der zum Hof hinausgeht, und habe sofort das
befriedigende Gefühl, etwas ganz Sinnvolles zu tun. Ich
verliere mich darin, die Pflanzen aus dem Zeitungspapier
zu wickeln, sie behutsam aus den Plastikbehältern zu lösen
und in die Töpfe zu setzen. Wenn ich mit den Fingern in
die feuchte Erde greife und darin herumwühle, wird alles
ganz einfach, und ich setze meinem Kummer wahre Kaskaden
aus Rosen, Hortensien und Glyzinien entgegen.
Ich mag keine Veränderungen in meinem Leben. Ich
nehme immer dieselben Wege, wenn ich zur Arbeit gehe,
ich habe eine ganz bestimmte Bank in den Tuilerien, die
ich heimlich als meine Bank betrachte.
Und ich würde mich niemals im Dunkeln auf einer
Treppe umdrehen, weil ich das unbestimmte Gefühl
hätte, daß hinter mir etwas lauert, das nach mir greift,
wenn ich nur zurückschaue.
Das mit der Treppe habe ich übrigens niemandem erzählt,
nicht einmal Claude. Ich glaube, er hat mir damals
auch nicht alles erzählt.
Tagsüber gingen wir beide unserer Wege. Was Claude
abends machte, wenn ich im Restaurant arbeitete,
wußte ich nicht immer so genau. Vielleicht wollte ich
es auch nicht wissen. Aber nachts, wenn die Einsamkeit
sich über Paris senkte, wenn die letzten Bars schlossen
und ein paar Nachtschwärmer fröstelnd auf die Straße
traten, lag ich in seinen Armen und fühlte mich sicher.
Als ich an jenem Abend die Lichter im Restaurant
löschte und mich mit einer Schachtel voller Himbeer-
Maccarons auf den Weg nach Hause machte, ahnte ich
noch nicht, daß meine Wohnung genauso leer sein würde
wie mein Restaurant. Es war, wie gesagt, ein Tag wie
jeder andere.
Nur daß Claude sich mit drei Sätzen aus meinem Leben
verabschiedet hatte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wußte ich, daß
etwas nicht in Ordnung war. Leider gehöre ich nicht zu
den Menschen, die mit einem Schlag hellwach sind, und
so war es zunächst auch mehr ein merkwürdiges unbestimmtes
Unwohlsein als dieser eine konkrete Gedanke,
der sich allmählich in mein Bewußtsein schob. Ich
lag in den weichen, nach Lavendel duftenden Kissen,
von draußen drangen gedämpft die Geräusche des Hofes
hinein. Ein weinendes Kind, die beschwichtigende
Stimme einer Mutter, schwere Schritte, die sich langsam
entfernten, das Hoftor, das quietschend ins Schloß fiel.
Ich blinzelte und drehte mich zur Seite. Halb im Schlaf
noch streckte ich meine Hand aus und tastete nach etwas,
das nicht mehr da war.
»Claude?« murmelte ich.
Und dann war der Gedanke angekommen. Claude
hatte mich verlassen!
Was gestern nacht noch seltsam unwirklich erschienen
war und nach mehreren Gläsern Rotwein so unwirklich
wurde, daß ich es auch hätte geträumt haben
können, wurde mit Anbruch dieses grauen Novembermorgens
unwiderruflich. Reglos lag ich da und lauschte,
aber die Wohnung blieb still. Aus der Küche kam kein
Geräusch. Keiner, der mit den großen dunkelblauen Tassen
herumklapperte und leise fluchte, weil die Milch
übergekocht war. Kein Duft nach Kaffee, der die Müdigkeit
vertrieb. Kein leises Surren eines elektrischen
Rasierers. Kein Wort.
Ich wandte den Kopf und sah zur Balkontür hinüber,
die leichten, weißen Vorhänge waren nicht zugezogen
und ein kalter Morgen drückte sich gegen die Scheiben.
Ich zog die Decke fester um mich und dachte daran, wie
ich gestern mit meinen Maccarons nichtsahnend in die
leere, dunkle Wohnung getreten war.
Nur das Licht in der Küche brannte, und ich hatte
einen Moment verständnislos auf das einsame Stilleben
gestarrt, das sich im Schein der schwarzmetallenen Hängelampe
meinem Blick darbot.
Ein handgeschriebener Brief, der offen auf dem alten
Küchentisch lag, darauf das Glas Aprikosenmarmelade,
mit der Claude sich am Morgen sein Croissant bestrichen
hatte. Eine Schale mit Obst. Eine Kerze, zur Hälfe abgebrannt.
Zwei Stoffservietten, die nachlässig zusammengerollt
waren und in silbernen Serviettenringen steckten.
Claude schrieb mir nie, nicht einmal einen Zettel. Er
hatte eine manische Beziehung zu seinem Mobiltelefon,
und wenn sich seine Pläne änderten, rief er mich an
oder hinterließ eine Nachricht auf meiner Mailbox.
»Claude?« rief ich und hoffte noch irgendwie auf
eine Antwort, aber da griff schon die kalte Hand der
Angst nach mir. Ich ließ die Arme sinken, die Maccarons
rutschten aus der Schachtel und fielen in Zeitlupe
auf den Boden. Mir wurde ein bißchen schwindlig. Ich
setzte mich auf einen der vier Holzstühle und zog das
Blatt unglaublich vorsichtig zu mir heran, als ob das etwas
hätte ändern können.
Wieder und wieder hatte ich die wenigen Worte gelesen,
die Claude in seiner großen, steilen Schrift zu Papier
gebracht hatte, und am Ende meinte ich seine rauhe
Stimme zu hören, ganz nah an meinem Ohr, wie ein
Flüstern in der Nacht:
Aurélie,
ich habe die Frau meines Lebens kennengelernt. Es tut mir
leid, daß es gerade jetzt passiert ist, aber irgendwann wäre es
sowieso geschehen.
Paß gut auf Dich auf,
Claude
Erst war ich reglos sitzengeblieben. Nur mein Herz
klopfte wie verrückt. So also fühlte es sich an, wenn
einem der Boden unter den Füssen weggezogen wurde.
Am Vormittag hatte Claude sich noch mit einem Kuß
im Flur von mir verabschiedet, der mir besonders zärtlich
schien. Ich wußte nicht, daß es ein Kuß war, der
mich verriet. Eine Lüge! Wie erbärmlich, sich auf diese
Weise davonzustehlen!
In einer Aufwallung von ohnmächtiger Wut zerknüllte
ich das Papier und warf es in eine Ecke. Sekunden
später hockte ich laut aufschluchzend davor und strich
den Bogen wieder glatt. Ich trank ein Glas Rotwein und
dann noch eines. Ich zog mein Telefon aus der Tasche
und rief Claude immer wieder an. Ich hinterließ verzweifelte
Bitten und wilde Beschimpfungen. Ich ging in
der Wohnung auf und ab, nahm wieder einen Schluck,
um mir Mut zu machen, und schrie in den Hörer, er
solle mich auf der Stelle zurückrufen. Ich glaube, ich
habe es ungefähr fünfundzwanzigmal probiert, bevor ich
mit der dumpfen Klarsichtigkeit, die der Alkohol einem
bisweilen beschert, zu der Erkenntnis kam, daß meine
Versuche vergeblich bleiben würden. Claude war bereits
Lichtjahre entfernt, und meine Worte konnten ihn nicht
mehr erreichen.
Mein Kopf schmerzte. Ich stand auf und tappte in meinem
kurzen Nachthemd - eigentlich war es das viel zu
große blau-weiß gestreifte Oberteil von Claudes Pyjama,
das ich mir in der Nacht noch irgendwie übergezogen
hatte - durch die Wohnung wie eine Somnambule.
Die Tür zum Badezimmer stand auf. Ich ließ meinen
Blick schweifen, um mich zu vergewissern. Der Rasierapparat
war verschwunden, ebenso wie die Zahnbürste
und das Aramis-Parfum.
Im Wohnzimmer fehlte die weinrote Kaschmirdecke,
die ich Claude zum Geburtstag geschenkt hatte, und über
dem Stuhl hing nicht wie sonst achtlos hingeworfen sein
dunkler Pullover. Der Regenmantel an der Garderobe
links neben der Eingangstür war fort. Ich riß den Kleiderschrank
auf, der im Flur stand. Ein paar leere Kleiderbügel
schlugen mit leisem Klirren gegeneinander. Ich
holte tief Luft. Alles ausgeräumt. Selbst an die Socken in
der untersten Schublade hatte Claude gedacht. Er mußte
seinen Abgang sehr sorgfältig geplant haben, und ich
fragte mich, wie es sein konnte, daß ich nichts gemerkt
hatte, nichts. Davon, daß er vorhatte zu gehen. Davon,
daß er sich verliebt hatte. Davon, daß er bereits eine andere
Frau küsste, während er mich küsste.
In dem hohen goldgerahmten Spiegel, der im Flur
über der Kommode hing, spiegelte sich mein blasses
verweintes Gesicht wie ein bleicher Mond, der von zit18
ternden, dunkelblonden Wellen umgeben war. Meine
langen, in der Mitte gescheitelten Haare waren zerzaust
wie nach einer wilden Liebesnacht, nur daß es keine
heftigen Umarmungen und geflüsterten Schwüre gegeben
hatte. »Du hast Haare wie eine Märchenprinzessin«,
hatte Claude gesagt. »Du bist meine Titania.«
Ich lachte bitter auf, trat ganz nah an den Spiegel heran
und musterte mich mit dem unerbittlichen Blick der
Verzweifelten. In meiner Verfassung und mit den tiefen
Schatten unter meinen Augen erinnerte ich eher an die
Irre von Chaillot, fand ich. Rechts über mir steckte im
Rahmen des Spiegels das Photo von Claude und mir,
das ich so sehr mochte. Es war an einem lauen Sommerabend
entstanden, als wir über den Pont des Arts schlenderten.
Ein beleibter Afrikaner, der auf der Brücke seine
Taschen zum Verkauf ausgebreitet hatte, hatte es von uns
gemacht. Ich erinnere mich noch, daß er unglaublich
große Hände hatte - zwischen seinen Fingern wirkte
meine kleine Kamera wie ein Puppenspielzeug - und
daß es eine Weile dauerte, bis er endlich auf den Auslöser
drückte.
Wir lachen beide auf diesem Photo, unsere Köpfe eng
aneinandergeschmiegt, vor einem tiefblauen Himmel,
der die Silhouette von Paris zärtlich einhüllt.
Lügen Photos oder sagen sie die Wahrheit? Im
Schmerz wird man philosophisch.
Ich nahm das Bild herunter, legte es auf das dunkle
Holz und stützte mich mit beiden Händen auf die
Kommode. »Que ça dure!« hatte der schwarze Mann aus
Afrika uns mit tiefer Stimme und rollendem »r« lachend
nachgerufen. »Que ça dure!« Möge es so bleiben!
Ich merkte, wie sich meine Augen erneut mit Tränen
füllten. Sie liefen mir die Wangen hinunter und platschten
wie dicke Regentropfen auf Claude und mich und
unser Lächeln und diesen ganzen Paris-für-Verliebte-
Quatsch, bis alles zur Unkenntlichkeit verschwamm.
Ich zog die Schublade auf und stopfte das Photo zwischen
die Schals und Handschuhe. »So«, sagte ich. Und
dann noch einmal: »So.«
Dann drückte ich die Schublade zu und dachte darüber
nach, wie einfach es doch war, aus dem Leben eines
anderen zu verschwinden. Für Claude hatten ein paar
Stunden gereicht. Und wie es aussah, war das gestreifte
Hemd eines Herrenpyjamas, das wohl eher absichtslos
unter meinem Kopfkissen vergessen worden war, das
einzige, was mir von ihm blieb.
Glück und Unglück liegen oft sehr nahe beieinander.
Anders formuliert könnte man auch sagen, daß das
Glück bisweilen seltsame Umwege nimmt.
Hätte Claude mich damals nicht verlassen, hätte ich
mich an diesem trüben kalten Novembermontag wahrscheinlich
mit Bernadette getroffen. Ich wäre nicht als
einsamster Mensch von der Welt durch Paris geirrt, ich
wäre bei Anbruch der Dämmerung nicht lange Zeit
auf dem Pont Louis-Philippe stehengeblieben und hätte
von Selbstmitleid überwaÅNltigt ins Wasser gestarrt, ich
wäre nicht vor diesem besorgten jungen Polizisten in die
kleine Buchhandlung auf der Île Saint-Louis geflüchtet,
und ich hätte niemals dieses Buch gefunden, das mein
Leben in ein so wunderbares Abenteuer verwandeln
sollte. Aber der Reihe nach.
Es war zumindest sehr rücksichtsvoll von Claude,
mich an einem Sonntag zu verlassen. Montags bleibt
das Temps des Cerises nämlich immer geschlossen. Das
ist mein freier Tag, und an diesem Tag mache ich stets
irgend etwas Schönes. Ich gehe in eine Ausstellung. Ich
verbringe Stunden im Bon Marché, meinem Lieblingskaufhaus.
Oder ich sehe Bernadette.
Bernadette ist meine beste Freundin. Wir haben uns
vor acht Jahren auf einer Zugfahrt kennengelernt, als
ihre kleine Tochter Marie stolpernd auf mich zulief und
schwungvoll einen Becher Kakao über meinem crèmefarbenen
Strickkleid entleerte. Die Flecken sind nie ganz
herausgegangen, aber am Ende dieser sehr kurzweiligen
Zugfahrt von Avignon nach Paris und nach dem gemeinsamen
und nicht sehr erfolgreichen Versuch, das
Kleid in einer schwankenden Zugtoilette mit Wasser
und Papiertaschentüchern zu reinigen, waren wir fast
schon Freundinnen.
Bernadette ist alles, was ich nicht bin. Sie ist schwer
zu beeindrucken, unerschütterlich in ihrer guten Laune,
sehr patent. Mit bemerkenswerter Gelassenheit nimmt
sie die Dinge, die da kommen, und versucht das beste
daraus zu machen. Sie ist diejenige, die das, was ich
manchmal für fürchterlich verworren halte, mit ein paar
Sätzen zurechtrückt und ganz einfach macht.
»Du liebe Güte, Aurélie«, sagt sie dann und schaut
mich belustigt aus ihren dunkelblauen Augen an. »Was
du dir immer für Gedanken machst! Das ist doch alles
ganz einfach ...«
Bernadette wohnt auf der Île Saint-Louis und ist Lehrerin
an der École Primaire, aber sie könnte ohne weiteres
auch Beraterin für kompliziert denkende Menschen sein.
Wenn ich in ihr klares, schönes Gesicht schaue, denke
ich oft, daß sie eine der wenigen Frauen ist, denen
es wirklich gut steht, die Haare in einem schlichten
Chignon zu tragen. Und wenn sie ihre blonden, schulterlangen
Haare offen trägt, sehen ihr die Männer
hinterher.
Sie hat ein lautes, ansteckendes Lachen. Und sie sagt
immer, was sie denkt.
Das war auch der Grund, weshalb ich sie an diesem
Montagmorgen nicht treffen wollte. Bernadette konnte
Claude von Anfang an nicht leiden.
»Das ist ein Freak«, hatte sie gesagt, nachdem ich ihr
Claude bei einem Glas Wein vorgestellt hatte. »Ich kenne
solche Typen. Egozentrisch und guckt einem nicht
richtig in die Augen.«
»Also mir guckt er in die Augen«, erwiderte ich und
lachte.
»Mit so einem wirst du nicht glücklich«, beharrte sie.
Ich fand das damals ein bißchen vorschnell, aber als
ich jetzt das Kaffeepulver in meine Glaskanne löffelte
und das kochende Wasser darübergoss, mußte ich mir
eingestehen, daß Bernadette recht gehabt hatte.
Ich schickte ihr eine SMS und sagte unser gemeinsames
Mittagessen mit kryptischen Worten ab. Dann trank
ich meinen Kaffee, zog Mantel, Schal und Handschuhe
an und trat hinaus in den kalten Pariser Morgen.
Manchmal geht man los, um irgendwo anzukommen.
Und manchmal geht man einfach nur los, um zu gehen
und zu gehen und immer weiter zu gehen, bis die Nebel
sich lichten, die Verzweiflung sich legt oder man einen
Gedanken zu Ende gedacht hat.
Ich hatte kein Ziel an diesem Morgen, mein Kopf war
seltsam leer und mein Herz so schwer, daß ich sein Gewicht
spürte und unwillkürlich meine Hand gegen den
rauhen Mantel drückte. Es waren noch nicht viele Leute
unterwegs, und die Absätze meiner Stiefel klackten verloren
auf dem alten Pflaster, als ich auf den steinernen Torbogen
zuging, der die Rue de L'Ancienne Comédie mit
dem Boulevard Saint-Germain verbindet. Ich war so froh,
als ich vor vier Jahren meine Wohnung in dieser Straße
gefunden hatte. Ich mag dieses kleine, lebendige Viertel,
das sich jenseits des großen Boulevards mit seinen verwinkelten
Straßen und Gassen, Gemüse-, Austern- und
Blumenständen, Cafés und Geschäften bis zum Seineufer
erstreckt. Ich wohne im dritten Stock, in einem alten
Haus mit ausgetretenen Steintreppen und ohne Aufzug,
und wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich hinübersehen
zu dem berühmten Procope, jenem Restaurant, das
schon seit Jahrhunderten dort steht und das erste Kaffeehaus
von Paris gewesen sein soll. Dort hatten sich Litera23
ten und Philosophen getroffen. Voltaire, Rousseau, Balzac,
Hugo und Anatole France. Große Namen, deren spirituelle
Gesellschaft die meisten Gäste, die dort unter riesigen
Kronleuchtern auf roten Lederbänken sitzen und essen,
mit einem angenehmen Schauer erfüllen.
»Hast du ein Glück«, hatte Bernadette gesagt, als ich
ihr mein neues Zuhause zeigte und wir zur Feier des
Tages abends im Procope einen wirklich köstlichen Coq
au vin aßen. »Wenn man bedenkt, wer hier alles schon
gesessen hat - und du wohnst nur ein paar Schritte entfernt
... toll!«
Sie schaute sich begeistert um, während ich ein Stück
weingetränktes Huhn auf meine Gabel aufspießte, es
versonnen anstarrte und einen Moment überlegte, ob
ich vielleicht ein Kulturbanause war.
Ehrlicherweise muß ich gestehen, daß mich der Gedanke,
daß man im Procope damals die erste Eiscrème von Paris
essen konnte, weitaus mehr entzückte als bärtige Männer,
die ihre klugen Gedanken zu Papier brachten, aber das
hätte meine Freundin vielleicht nicht verstanden.
Bernadettes Wohnung ist voller Bücher. Sie stehen in
meterhohen Regalen, die sich über Türrahmen hinwegziehen,
sie liegen auf Eßtischen, Schreibtischen, Couchtischen
und Nachttischen, und selbst im Bad habe ich zu
meinem Erstaunen auf einem kleinen Tischchen neben
der Toilette ein paar Bücher gefunden.
»Ein Leben ohne Bücher könnte ich mir überhaupt
nicht vorstellen«, hat Bernadette einmal gesagt, und ich
habe ein wenig beschämt genickt.
Im Prinzip lese ich auch. Aber meistens kommt etwas
dazwischen. Und wenn ich die Wahl habe, mache ich am
Ende doch lieber einen langen Spaziergang oder ich backe
eine Aprikosentarte, und der wunderbare Duft aus diesem
Gemisch aus Mehl, Butter, Vanille, Eiern, Früchten und
Sahne, der dann durch die Wohnung zieht, ist es, der meine
Phantasie beflügelt und mich zum Träumen bringt.
Wahrscheinlich liegt es an diesem mit einem Kochlöffel
und zwei Rosen verzierten Metallschild, das heute
noch in der Küche des Temps des Cerises hängt.
Als ich in der Grundschule lesen lernte und sich
Buchstabe für Buchstabe zu einem großen, sinngebenden
Ganzen zusammenfügten, stand ich in meiner dunkelblauen
Schuluniform davor und entzifferte die Worte,
die darauf standen:
»Strenggenommen hat nur eine Sorte Bücher das
Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.«
Der Spruch war von einem Joseph Conrad, und ich
weiß noch, daß ich lange Zeit ganz selbstverständlich
angenommen hatte, daß dieser Mann ein berühmter
deutscher Koch sein müsse. Um so erstaunter war ich,
als ich später durch einen Zufall auf seinen Roman Herz
der Finsternis stieß, den ich mir aus alter Verbundenheit
sogar kaufte, aber dann doch nicht las.
Jedenfalls klang der Titel so düster wie meine Stimmung
an diesem Tag. Vielleicht wäre jetzt der passende
Zeitpunkt gewesen, dieses Buch hervorzuholen, überlegte
ich voller Bitterkeit. Aber ich lese keine Bücher,
wenn ich unglücklich bin; ich pflanze Blumen.
Das dachte ich zumindest in diesem Moment, nicht
wissend, daß ich in derselben Nacht noch mit begehrlicher
Hast die Seiten eines Romans umblättern würde,
der sich mir sozusagen in den Weg geworfen hatte. Zufall?
Bis heute glaube ich nicht daran, daß es ein Zufall war.
Ich grüsste Philippe, einen der Kellner aus dem
Procope,
der mir freundlich durch die Scheibe zuwinkte,
ging achtlos vorbei an den funkelnden Auslagen des
kleinen Schmuckladens Harem und bog auf den Boulevard
Saint-Germain ein. Es hatte angefangen zu regnen,
die Autos fuhren wasserspritzend an mir vorbei, und ich
zog den Schal enger um mich, während ich unbeirrt
den Boulevard entlangmarschierte.
Warum müssen schreckliche oder deprimierende
Dinge immer im November passieren? Der November
war für mich die denkbar schlechteste Zeit, um unglücklich
zu sein. Die Auswahl der Blumen, die man
pflanzen konnte, hielt sich in Grenzen.
Ich stieß mit meinem Fuß gegen eine leere Coladose,
die scheppernd über den Bürgersteig rollte und schließlich
im Rinnstein liegenblieb.
Un caillou bien rond qui coule, l'instant d'après il est coulé
... Es war wie in diesem unglaublich traurigen Lied
von Anne Sylvestre, La Chanson de Toute Seule, das mit
den Kieselsteinen, die erst rollen und einen Augenblick
später in der Seine untergehen. Alle hatten mich verlassen.
Papa war tot, Claude war verschwunden, und ich
war allein wie nie zuvor in meinem Leben. Da klingelte
mein Mobiltelefon.
»Hallo?« sagte ich und verschluckte mich fast. Ich spürte,
wie mir das Adrenalin durch den Körper schoß bei dem
Gedanken, es könnte Claude sein.
»Was ist los, mein Schatz?« Bernadette kam wie immer
direkt zur Sache.
Ein Taxifahrer bremste mit quietschenden Rädern
neben mir und hupte wie ein Besinnungsloser, weil ein
Fahrradfahrer die Vorfahrt nicht beachtet hatte. Es klang
apokalyptisch.
»Meine Güte, was ist das?« rief Bernadette in den Hörer,
bevor ich etwas sagen konnte. »Alles in Ordnung?
Wo bist du?«
»Irgendwo auf dem Boulevard Saint-Germain«, erwiderte
ich kläglich und stellte mich für einen Moment
unter die Markise eines Geschäfts, das bunte
Schirme mit Entenköpfen als Knauf in der Auslage
hatte. Der Regen tropfte aus meinen nassen Haaren,
und ich ertrank in einer riesigen Woge aus Selbstmitleid.
»Irgendwo auf dem Boulevard Saint-Germain? Was
um Himmels willen machst du irgendwo auf dem Boulevard
Saint-Germain? Du hast mir doch geschrieben,
dir wäre etwas dazwischengekommen!«
»Claude ist weg«, sagte ich und schniefte in mein
Telefon.
»Wie meinst du das - weg?« Bernadettes Stimme
wurde wie immer, wenn es um Claude ging, sofort eine
Spur unduldsamer. »Ist der Idiot wieder mal abgetaucht
und meldet sich nicht?«
Dummerweise hatte ich Bernadette von Claudes
Hang zum Eskapismus erzählt, und sie hatte das gar
nicht witzig gefunden.
»Für immer weg«, sagte ich aufschluchzend. »Er hat
mich verlassen. Ich bin so unglücklich.«
»Ach, du meine Güte«, sagte Bernadette und ihre
Stimme war wie eine Umarmung. »Ach, du meine
Güte! Meine arme, arme Aurélie. Was ist passiert?«
»Er ... hat ... eine ... andere ...«, schluchzte ich weiter.
»Gestern, als ich nach Hause kam, waren alle seine
Sachen weg, und da lag ein Zettel ... ein Zettel ...«
»Er hat es dir nicht einmal persönlich gesagt? So ein
Arschloch!« Bernadette fiel mir ins Wort und sog erbost
die Luft ein. »Ich habe dir immer gesagt, daß Claude ein
Arschloch ist. Immer und immer! Ein Zettel! Das ist
wirklich das letzte ... nein, das ist das allerletzte!«
»Bitte, Bernadette ...«
»Was? Verteidigst du diesen Idioten auch noch?«
Ich schüttelte stumm den Kopf.
»Jetzt hör mal, mein Liebchen«, sagte Bernadette, und
ich kniff die Augen zusammen. Wenn Bernadette ihre
Sätze mit »Jetzt hör mal« einleitete, war das meistens der
Auftakt zu grundsätzlichen Meinungsbekundungen, die
oft stimmten, die man aber nicht immer ertragen konnte.
»Vergiß diesen Blödmann, so schnell es geht! Natürlich
ist es jetzt schlimm ...«
»Sehr schlimm«, schluchzte ich.
»Also gut, sehr schlimm. Aber dieser Mann war wirklich
unsäglich, und im tiefsten Inneren weißt du das
auch. Jetzt versuche dich zu beruhigen. Alles wird gut,
und ich verspreche dir in die Hand, daß du bald schon
einen ganz netten Mann kennenlernen wirst, einen
wirklich netten Mann, der so eine wunderbare Frau wie
dich zu schätzen weiß.«
»Ach, Bernadette«, seufzte ich. Bernadette hatte gut
reden. Sie war mit einem wirklich netten Mann verheiratet,
der mit unglaublicher Langmut ihren Wahrheitsfanatismus
ertrug.
»Hör mal«, sagte sie jetzt wieder. »Du nimmst dir sofort
ein Taxi und fährst nach Hause, und wenn ich hier
alles klar habe, komme ich zu dir. Alles halb so wild, ich
bitte dich! Kein Grund für ein Drama.«
Ich schluckte. Natürlich war das nett von Bernadette,
daß sie zu mir kommen und mich trösten wollte. Doch
ich hatte das ungute Gefühl, daß ihr Verständnis von
Trost ein anderes war als meines. Ich wußte nicht, ob
ich Lust darauf hatte, mir den ganzen Abend über erklären
zu lassen, wieso Claude der beknackteste Typ aller
Zeiten war. Immerhin war ich bis gestern noch mit ihm
zusammen gewesen, und ein bißchen mehr Mitgefühl
hätte ich auch ganz schön gefunden.
Und dann schoß die gute Bernadette über das Ziel
hinaus.
»Ich sag dir mal was, Aurélie«, sagte sie in ihrer Lehrerinnenstimme,
die keinen Widerspruch duldete. »Ich bin
froh, ja, ich bin sogar sehr froh, daß Claude dich verlassen
hat. Ein echter Glücksfall, wenn du mich fragst! Du
hättest den Absprung nämlich nicht geschafft. Ich weiß,
du hörst das jetzt nicht gern, aber ich sag's trotzdem:
Daß dieser Blödmann endlich aus deinem Leben verschwunden
ist, ist für mich ein Grund zum Feiern.«
»Wie schön für dich«, entgegnete ich schärfer, als ich
es eigentlich wollte, und ich spürte, wie die unterschwellige
Erkenntnis, daß meine Freundin nicht ganz unrecht
hatte, mich mit einemmal unglaublich wütend machte.
»Weißt du was, Bernadette? Feiere du doch schon
mal ein bißchen vor, und falls du es in deiner großen
Euphorie überhaupt ertragen kannst, dann laß mich
einfach noch ein paar Tage traurig sein, ja? Laß mich
einfach nur in Ruhe!«
Ich legte auf, holte tief Luft und schaltete mein Handy
dann ganz aus.
Na, toll, jetzt hatte ich auch noch Krach mit Bernadette.
Vor der Markise strömte der Regen auf das Pflaster,
und ich drückte mich fröstelnd in eine Ecke und
überlegte, ob es nicht wirklich besser wäre, nach Hause
zu fahren. Doch die Vorstellung, in eine leere Wohnung
zurückzukehren, machte mir angst. Ich hatte ja nicht
einmal eine kleine Katze, die mich erwartete und sich
schnurrend an mich schmiegte, wenn ich meine Finger
durch ihr Fell gleiten ließ. »Schau mal, Claude, sind die
nicht bezaubernd?« hatte ich gerufen, als Madame Clément,
die Nachbarin, uns damals die Tigerkatzenbabys
zeigte, die mit kleinen tapsigen Bewegungen in ihrem
Körbchen übereinanderstolperten.
Aber Claude hatte eine Katzenhaarallergie und
mochte auch sonst keine Tiere.
»Ich mag keine Tiere. Nur Fische«, hatte er gesagt, als
wir uns erst ein paar Wochen kannten. Und eigentlich
hätte ich es da schon wissen müssen. Die Chance mit
einem Menschen glücklich zu werden, der nur Fische
mochte, war für mich, Aurélie Bredin, ziemlich gering.
Entschlossen stieß ich die Tür zu dem kleinen Schirmgeschäft
auf und kaufte einen himmelblauen Regenschirm
mit weißen Punkten und einem Entenkopfgriff,
der die Farbe eines Karamelbonbons hatte.
Es wurde der längste Spaziergang meines Lebens. Nach
einer Weile verschwanden die Modegeschäfte und Restaurants,
die rechts und links des Boulevards lagen, und
wurden zu Möbelgeschäften und Fachgeschäften für
Badezimmereinrichtungen, und dann hörten auch diese
auf, und ich zog meine einsame Bahn durch den Regen,
vorbei an den steinernen Fassaden der großen sandfarbenen
Häuser, die dem Auge wenig Ablenkung boten
und meinen ungeordneten Gedanken und Gefühlen
mit stoischer Ruhe begegneten.
Am Ende des Boulevards, der auf den Quai d'Orsay
stößt, bog ich rechts ab und überquerte die Seine Richtung
Place de la Concorde. Wie ein dunkler Zeigefinger
ragte der Obelisk in der Mitte des Platzes auf, und es
kam mir so vor, als hätte er in seiner ganzen ägyptischen
Erhabenheit nichts zu tun mit den vielen kleinen
Blechautos, die ihn hektisch umkreisten.
Wenn man unglücklich ist, sieht man entweder gar
nichts mehr und die Welt versinkt in Bedeutungslosig31
keit, oder man sieht die Dinge überdeutlich und alles
bekommt mit einemmal eine Bedeutung. Sogar ganz
banale Dinge, wie eine Ampel, die von Rot auf Grün
springt, können darüber entscheiden, ob man nach
rechts oder nach links geht.
Und so spazierte ich wenige Minuten später durch die
Tuilerien, eine kleine traurige Gestalt unter einem getupften
Regenschirm, der sich langsam und mit leichten Aufund
Abwärtsbewegungen durch den leergefegten Park bewegte,
diesen Richtung Louvre verließ, bei Einbruch der
Dämmerung am rechten Ufer der Seine entlangschwebte,
vorbei an der Île de la Cité, vorbei an Notre-Dame, vorbei
an den Lichtern der Stadt, die allmählich aufleuchteten,
bis er schließlich auf dem kleinen Pont Louis-Philippe,
der zur Île Saint-Louis hinüberführt, anhielt.
Die tiefblaue Farbe des Himmels legte sich über Paris
wie ein Stück Samt. Es war kurz vor sechs, der Regen
hörte allmählich auf, und ich lehnte mich ein wenig
erschöpft über die Steinbrüstung der alten Brücke und
starrte nachdenklich in die Seine. Die Laternen spiegelten
sich zitternd und glitzernd auf dem dunklen Wasser
- zauberhaft und zerbrechlich wie alles Schöne.
Nach acht Stunden, Tausenden von Schritten und
noch mal tausend Gedanken war ich an diesem stillen
Ort angekommen. So viel Zeit hatte es gebraucht, um
zu begreifen, daß die abgrundtiefe Traurigkeit, die sich
wie Blei auf mein Herz gelegt hatte, nicht allein dem
Umstand geschuldet war, daß Claude mich verlassen
hatte. Ich war zweiunddreißig Jahre alt, und es war nicht
das erste Mal, daß eine Liebe zerbrach. Ich war gegangen,
ich war verlassen worden, ich hatte weitaus nettere
Männer gekannt als Claude, den Freak.
Ich glaube, es war dieses Gefühl, daß sich alles auflöste,
veränderte, daß Menschen, die meine Hand gehalten
hatten, plötzlich für immer verschwanden, daß mir die
Bodenhaftung verlorenging und zwischen diesem riesigen
Universum und mir nichts mehr war als ein himmelblauer
Regenschirm mit kleinen weißen Punkten.
Das machte es nicht gerade besser. Ich stand allein auf
einer Brücke, ein paar Autos fuhren an mir vorbei, die
Haare wehten mir ins Gesicht, und ich umklammerte
den Schirm mit dem Entenknauf, als könnte dieser auch
noch davonfliegen.
»Hilfe!« flüsterte ich leise und taumelte ein wenig gegen
die Steinmauer.
»Mademoiselle? Oh, mon Dieu, Mademoiselle, nicht!
Warten Sie, arrêtez!« Ich hörte eilige Schritte hinter mir
und erschrak.
Der Schirm glitt mir aus der Hand, machte eine halbe
Umdrehung, prallte von der Brüstung ab und fiel dann
in einem kleinen wirbelnden Tanz nach unten, bevor er
mit einem kaum hörbaren Platschen bäuchlings auf dem
Wasser landete.
Ich drehte mich verwirrt um und sah in die dunklen
Augen eines jungen Polizisten, der mich mit besorgtem
Blick musterte. »Alles in Ordnung?« fragte er aufgeregt.
Offenbar hielt er mich für eine Selbstmörderin.
Ich nickte. »Ja, natürlich. Alles bestens.« Ich rang mir
ein kleines Lächeln ab. Er zog die Augenbrauen hoch, als
glaube er mir kein Wort.
»Ich glaube Ihnen kein Wort, Mademoiselle«, sagte er.
»Ich habe Sie schon eine ganze Weile beobachtet, und
so, wie Sie da standen, sieht keine Frau aus, bei der alles
bestens ist.«
Ich schwieg betroffen und sah für einen Moment dem
weißgetupften Regenschirm hinterher, der gemächlich
auf der Seine davonschaukelte. Der Polizist folgte meinem
Blick.
»Es ist immer dasselbe«, meinte er dann. »Ich kenne
das schon mit diesen Brücken. Erst neulich haben wir
noch weiter unten ein Mädchen rausgefischt aus dem
eiskalten Wasser. Gerade noch rechtzeitig. Wenn jemand
sich lange auf einer Brücke rumtreibt, kann man sicher
sein, daß er entweder heftig verliebt ist oder kurz davor,
ins Wasser zu springen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hab nie kapiert, warum
Verliebte und Selbstmörder immer diese Affinität zu den
Brücken haben.«
Er beendete seinen Exkurs und schaute mich mißtrauisch
an.
»Sie sehen ziemlich durcheinander aus, Mademoiselle.
Sie wollten doch wohl keine Dummheiten machen,
was? So eine schöne Frau wie Sie. Auf der Brücke.«
»Aber nein!« versicherte ich. » Außerdem stehen auch
ganz normale Menschen manchmal länger auf Brücken,
einfach weil es schön ist, über den Fluß zu schauen.«
»Sie haben aber ganz traurige Augen.« Er ließ nicht
locker. »Und es sah eben ganz so aus, als wollten Sie sich
fallen lassen.«
»So ein Unsinn!« entgegnete ich. »Mir war nur ein
bißchen schwindlig«, beeilte ich mich hinzuzufügen
und legte unwillkürlich die Hand auf meinen Bauch.
»Oh, pardon! Excusez-moi, Mademoiselle ... Madame!« In
einer verlegenen Geste breitete er seine Hände aus. »Ich
konnte ja nicht ahnen ... vous-êtes ... enceinte? Da sollten
Sie aber etwas besser auf sich achtgeben, wenn ich das
mal so sagen darf. Darf ich Sie nach Hause begleiten?«
Ich schüttelte den Kopf und hätte fast gelacht. Nein,
schwanger war ich nun wirklich nicht.
Er legte den Kopf schief und lächelte galant. »Sind Sie
sicher, Madame? Der Schutz der französischen Polizei
steht Ihnen zu. Nicht, daß Sie mir noch umkippen.« Er
blickte fürsorglich auf meinen flachen Bauch. »Wann ist
es denn soweit?«
»Hören Sie, Monsieur«, entgegnete ich mit fester
Stimme. »Ich bin nicht schwanger und werde es mit
ziemlicher Sicherheit in näherer Zukunft auch nicht
sein. Mir war einfach ein wenig schwindlig, das ist alles.«
Und das war auch kein Wunder, fand ich, immerhin
hatte ich außer einem Kaffee den ganzen Tag nichts zu
mir genommen.
»Oh! Madame ... ich meine Mademoiselle!« Sichtlich
verlegen trat er einen Schritt zurück. »Entschuldigen Sie
vielmals, ich wollte nicht indiskret sein.«
»Ist schon gut«, seufzte ich und wartete darauf, daß
er ging.
Doch der Mann in der dunkelblauen Uniform blieb
stehen. Er war der Prototyp eines Pariser Polizisten, wie
ich sie auf der Île de la Cité, wo der Sitz der Polizeipräfektur
ist, oft schon gesehen hatte: groß, schlank, gutaussehend,
immer zu einem kleinen Flirt bereit. Dieser
hier hatte es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, mein
persönlicher Schutzengel zu sein.
»Also dann ...« Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen
die Brüstung und versuchte ihn mit einem Lächeln
zu verabschieden. Ein älterer Mann im Regenmantel
ging vorbei und warf uns einen interessierten Blick zu.
Der Polizist legte zwei Finger an seine Kappe. »Tja,
wenn ich nichts mehr für Sie tun kann ...«
»Nein, wirklich nicht.«
»Dann passen Sie gut auf sich auf.«
»Mach ich.« Ich preßte die Lippen aufeinander und
nickte ein paarmal mit dem Kopf. Das war der zweite
Mann in vierundzwanzig Stunden, der mir sagte, ich
solle gut auf mich aufpassen. Ich hob kurz die Hand,
drehte mich dann wieder um und stützte mich mit den
Ellbogen auf die Brüstung. Aufmerksam studierte ich
die Kathedrale von Notre-Dame, die sich wie ein mittelalterliches
Raumschiff aus der Dunkelheit am Ende
der Île de la Cité erhob.
Hinter mir ertönte ein Räuspern, und ich spannte
den Rücken an, bevor ich mich langsam wieder zur
Straße drehte.
»Ja?« sagte ich.
»Was ist es denn nun?« fragte er und grinste wie George
Clooney in der Nespresso-Werbung. »Mademoiselle
oder Madame?«
Oh. Mein. Gott. Ich wollte in Ruhe unglücklich sein,
und ein Polizist flirtete mit mir.
»Mademoiselle, was sonst«, gab ich zurück und beschloß,
die Flucht zu ergreifen. Die Glocken von Notre-Dame
tönten zu mir herüber, und ich ging schnellen Schrittes
die Brücke entlang und betrat die Île Saint-Louis.
Manche sagen, dieses kleine Inselchen in der Seine, das
direkt hinter der viel größeren Île de la Cité liegt und das
man nur über Brücken erreichen kann, sei das Herz von
Paris. Aber dieses alte Herz schlägt sehr, sehr langsam. Ich
kam selten hierher und war jedesmal aufs neue verwundert
über die Ruhe, die in diesem Viertel herrschte.
Als ich in die Rue Saint-Louis einbog, die Hauptstraße,
an der sich kleine Geschäfte und Restaurants friedlich
aneinanderreihen, sah ich aus den Augenwinkeln,
daß eine große schlanke Gestalt in Uniform mir in gebührendem
Abstand folgte. Der Schutzengel ließ nicht
locker. Was dachte sich dieser Mann eigentlich? Daß ich
es an der nächsten Brücke versuchen würde?
Ich beschleunigte meine Schritte und rannte schon
fast, und dann riß ich die Tür zu dem nächsten Geschäft
auf, in dem noch Licht brannte. Es war eine kleine
Buchhandlung, und als ich sie stolpernd betrat, wäre mir
nie in den Sinn gekommen, daß dieser Schritt mein Leben
für immer verändern würde.
Im ersten Moment dachte ich, die Buchhandlung wäre
menschenleer. In Wirklichkeit war sie nur so vollgestopft
mit Büchern, Regalen und Tischchen, daß ich den Patron,
der am Ende des Raumes mit gebeugtem Kopf hinter
einem altmodischen Kassentisch stand, auf dem sich
wiederum Bücher in waghalsigen Formationen stapelten,
nicht sah. Er war in einen Bildband vertieft und blätterte
mit großer Vorsicht die Seiten um. Es sah so friedlich aus,
wie er da stand, mit seinem gewellten silbergrauen Haar
und der halbmondförmigen Lesebrille, daß ich es nicht
wagte, ihn zu stören. Ich blieb stehen in diesem Kokon
aus Wärme und gelblichem Licht, und mein Herz begann
ruhiger zu schlagen. Vorsichtig riskierte ich einen
Blick nach draußen. Vor dem Schaufenster, auf dem in
verblaßten Goldbuchstaben der Schriftzug Librairie Capricorne
Pascal Fermier geschrieben war, sah ich meinen
Schutzengel stehen und angelegentlich die Auslagen
betrachten.
Unwillkürlich seufzte ich, und der alte Buchhändler
blickte von seinem Buch auf und sah mich überrascht
an, bevor er seine Lesebrille nach oben schob.
»Ah ... bonsoir, Mademoiselle - ich habe Sie gar nicht
kommen hören«, sagte er freundlich, und sein gütiges
Gesicht mit den klugen Augen und dem feinen Lächeln
erinnerte mich an ein Photo von Marc Chagall in seinem
Atelier. Nur daß dieser Mann hier keinen Pinsel in
seiner Hand hielt.
»Bonsoir, Monsieur«, antwortete ich einigermaßen verlegen.
»Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Aber nein«, erwiderte er und hob die Hände. »Ich
hatte nur gedacht, ich hätte eben abgeschlossen.« Er
sah zur Tür, in dessen Schloß ein Bund mit mehreren
Schlüsseln steckte, und schüttelte den Kopf. »Ich werde
allmählich vergeßlich.«
»Dann haben Sie eigentlich schon geschlossen?« fragte
ich, trat einen Schritt vor und hoffte, daß der lästige
Schutzengel vor dem Schaufenster endlich weiterflog.
»Schauen Sie sich in Ruhe um, Mademoiselle. Soviel
Zeit muß sein.« Er lächelte. »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
Ich suche einen Menschen, der mich wirklich liebt,
antwortete ich stumm. Ich bin auf der Flucht vor einem
Polizisten, der denkt, daß ich von einer Brücke springen
will, und tue so, als wollte ich ein Buch kaufen. Ich
bin zweiunddreißig Jahre alt und habe meinen Regenschirm
verloren. Ich wünsche mir, daß endlich mal was
Schönes passiert.
Mein Magen knurrte vernehmlich. »Nein ... nein,
nichts Bestimmtes«, sagte ich rasch. »Irgend etwas ...
Nettes.« Ich wurde rot. Nun hielt er mich wahrscheinlich
für eine Ignorantin, deren Ausdrucksfähigkeit sich
in dem nichtssagenden Wort »nett« erschöpfte. Ich hoffte,
daß meine Worte wenigstens meinen knurrenden
Magen übertoÅNnt hatten.
»Möchten Sie einen Keks?« fragte Monsieur Chagall.
Er hielt mir eine Silberschale mit Buttergebäck unter
die Nase, und nach einem kurzen Moment des Zögerns
griff ich dankbar zu. Das süsse Gebäck hatte etwas Tröstliches
und beruhigte meinen Magen sofort.
»Wissen Sie, ich bin heute noch gar nicht richtig zum
Essen gekommen«, erklärte ich kauend. Dummerweise
gehöre ich zu den uncoolen Leuten, die sich verpflichtet
fühlen, immer alles erklären zu müssen.
»Das passiert«, sagte Monsieur Chagall, ohne meine
Verlegenheit weiter zu kommentieren. »Da drüben«, er
zeigte auf einen Tisch mit Romanen, »finden Sie vielleicht,
was Sie suchen.«
Und das tat ich dann wirklich. Eine Viertelstunde
später verließ ich die Librairie Capricorne mit einer orangefarbenen
Papiertüte, auf der ein kleines weißes Einhorn
gedruckt war.
»Eine gute Wahl«, hatte Monsieur Chagall gesagt, als
er das Buch verpackte, das von einem jungen Engländer
geschrieben worden war und den schönen Titel Das Lächeln
der Frauen trug.
»Das wird Ihnen gefallen.«
Ich hatte genickt und mit hochrotem Kopf nach dem
Geld gekramt, und es war mir kaum gelungen, meine
Überraschung zu verbergen, die Monsieur Chagall
vielleicht für einen Anfall übersteigerter Lesevorfreude
hielt, als er hinter mir die Ladentür abschloß.
Ich atmete tief durch und blickte die leere Straße hinunter.
Mein neuer Polizistenfreund hatte die Beschattung
aufgegeben. Offenbar war die Wahrscheinlichkeit, daß jemand,
der ein Buch kaufte, sich anschließend von einer
Seine-Brücke stürzte, statistisch gesehen sehr gering.
Doch das war nicht der Grund meiner Überraschung,
aus der bald eine Aufgeregtheit wurde, die meine Schritte
beschleunigte und mich klopfenden Herzens in ein
Taxi einsteigen ließ.
In dem Buch, das ich in seiner hübschen orangefarbenen
Ummantelung an meine Brust drückte wie einen
kostbaren Schatz, stand gleich auf der ersten Seite ein Satz,
der mich verwirrte, neugierig machte, ja elektrisierte:
Die Geschichte, die ich erzählen möchte, beginnt mit einem
Lächeln. Sie endet in einem kleinen Restaurant mit dem
verheißungsvollen Namen »Le Temps des Cerises«, das sich
in Saint-Germain-des-Près befindet, dort, wo das Herz von
Paris schlägt.
Es sollte die zweite Nacht werden, in der ich kaum
schlief. Doch diesmal war es kein treuloser Geliebter, der
mir die Ruhe raubte, sondern - wer hätte das gedacht
von einer Frau, die alles andere war als eine passionierte
Leserin - ein Buch! Ein Buch, das mich von den ersten
Sätzen an in seinen Bann zog. Ein Buch, das manchmal
traurig war, und dann wieder so komisch, daß ich laut
lachen mußte. Ein Buch, das wunderschön und rätselhaft
zugleich war, denn selbst, wenn man viele Romane
liest, wird man doch selten auf eine Liebesgeschichte
stoßen, in der das eigene kleine Restaurant eine zentrale
Rolle spielt und in der die Heldin in einer Art und
Weise beschrieben wird, daß man meint, sich selbst im
Spiegel zu sehen - an einem Tag, wenn man sehr, sehr
glücklich ist und alles gelingt!
Als ich nach Hause gekommen war, hatte ich meine
feuchten Sachen über die Heizung gehängt und war
in einen frischen weichen Schlafanzug geschlüpft. Ich
hatte mir eine große Kanne Tee gekocht, mir ein paar
Sandwiches gemacht und meinen Anrufbeantworter
abgehört. Bernadette hatte dreimal versucht, mich zu
erreichen, und sich dafür entschuldigt, daß sie mit dem
»EinfühlungsvermoÅNgen eines Elefanten« auf meinen
Gefühlen herumgetrampelt war.
Ich mußte lächeln, als ich ihre Ansagen hörte. »Hör
mal, Aurélie, wenn du wegen dieses Idioten traurig sein
willst, dann sei traurig, aber bitte sei mir nicht mehr
böse und melde dich, ja? Ich denke so sehr an dich!«
Mein Groll war doch schon lange verflogen. Ich stellte
das Tablett mit Tee, Sandwiches und meiner Lieblingstasse
auf das Rattan-Tischchen neben das safrangelbe
Sofa, überlegte einen Moment und schickte meiner
Freundin dann eine SMS mit den Worten:
»Liebe Bernadette, es ist so schlimm, wenn du recht
hast. Willst du am Mittwochmorgen vorbeikommen? Ich
freue mich auf dich und schlafe jetzt. Bises, Aurélie!«
Das mit dem Schlafen war natürlich gelogen, sonst
aber stimmte alles. Ich holte die Papiertüte aus der Librairie
Capricorne von der Kommode im Flur und stellte
sie vorsichtig neben das Tablett. Ich hatte ein eigenartiges
Gefühl, so als ob ich schon damals gespürt hätte, daß
dies meine ganz persönliche Wundertüte werden sollte.
Ich bezähmte meine Neugier noch ein wenig. Erst
trank ich den Tee in kleinen Schlucken, dann aß ich die
Sandwiches, schließlich stand ich noch einmal auf und
holte mir meine Wolldecke aus dem Schlafzimmer.
Es war so, als wollte ich den Moment, bevor das Eigentliche
begann, noch etwas hinauszögern.
Und dann, endlich, wickelte ich das Buch aus dem
Papier und schlug es auf.
Würde ich jetzt behaupten, daß die nächsten Stunden
wie im Flug vorübergingen, wäre das nur die halbe
Wahrheit. In Wirklichkeit war ich so in die Geschichte
vertieft, daß ich nicht einmal hätte sagen können, ob
eine oder drei oder sechs Stunden vergangen waren. In
dieser Nacht hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren -
ich trat in den Roman wie die Helden aus Orphée, diesem
alten Schwarzweiß-Film von Jean Cocteau, den ich
als Kind einmal mit meinem Vater gesehen hatte. Nur
daß ich nicht durch einen Spiegel ging, den ich kurz
zuvor mit der Handfläche berührt hatte, sondern durch
einen Buchdeckel.
Die Zeit dehnte sich aus, zog sich zusammen, und
dann war sie völlig verschwunden.
Ich war an der Seite dieses jungen Engländers, den
die Skileidenschaft seines frankophilen Kollegen (komplizierter
Beinbruch in Verbier) nach Paris verschlägt. Er
arbeitet für den Autohersteller Austin und soll nun anstelle
des auf Monate arbeitsunfähigen Marketingleiters
den Mini-Cooper in Frankreich etablieren. Das Problem:
Seine Französischkenntnisse sind so rudimentär wie seine
Erfahrungen mit Franzosen, und er hofft in völliger
Verkennung der französisch-nationalen Seele darauf,
daß jeder in Paris (zumindest die Leute in der Pariser
Niederlassung) die Sprache des Empires beherrscht und
mit ihm kooperiert.
Er ist nicht nur entsetzt über den abenteuerlichen
Fahrstil der Pariser Autofahrer, die sich in Sechserreihen
auf zweispurigen Straßen drängeln, sich nicht im
geringsten dafür interessieren, was hinter ihnen passiert,
und die goldene Fahrschulregel »Innenspiegel, Außenspiegel,
Losfahren« gleich auf das »Losfahren« verkürzen,
sondern auch darüber, daß der Franzose an sich seine
Beulen und Kratzer grundsätzlich nicht reparieren läßt
und sich von Werbesprüchen wie Mini - it's like falling
in love unbeeindruckt bleibt, weil er lieber mit Frauen
Liebe macht als mit Autos.
Er lädt hübsche Französinnen zum Essen ein und bekommt
eine mittlere Krise, weil diese sich zwar mit dem
Ausruf »Ah, comme j'ai faim!« das komplette (und teure)
Menu bestellen, dann aber etwa dreimal in ihren Salade
au chèvre picken, vier Gabeln vom Boeuf Bourgouignon zu
sich nehmen und zwei Löffelchen von der Crème Brûlée,
bevor sie das Besteck anmutig in den ganzen kulinarischen
Rest fallen lassen.
Von Schlangestehen hat noch kein Franzose je etwas
gehört, und über das Wetter redet hier auch niemand.
Warum auch? Es gibt interessantere Themen. Und kaum
Tabus. Man will wissen, warum er mit Mitte Dreißig
noch keine Kinder hat (»Wirklich gar keine? Nicht
mal eins? Zero?«), was er von der Politik der Amerika44
ner in Afghanistan hält, von Kinderarbeit in Indien, ob
die Kunstobjekte aus Hanf und Styropor von Vladimir
Wroscht in der Galerie La Borg nicht très hexagonale sind
(er kennt weder den Künstler noch die Galerie, noch
die Bedeutung des Wortes »hexagonal«), ob er mit seinem
Sexleben zufrieden ist und wie er dazu steht, wenn
Frauen sich ihre Schamhaare färben.
Mit anderen Worten: Unser Held fällt von einer Ohnmacht
in die nächste.
Er ist der englische Gentleman, der eigentlich nicht
gern redet. Und mit einemmal muß er alles diskutieren.
Und an allen möglichen und unmöglichen Orten.
In der Firma, im Café, im Fahrstuhl (vier Stockwerke
reichen für eine lebhafte Grundsatzdiskussion über Autobrände
in der Banlieue, den Vororten von Paris), auf
der Herrentoilette (ist die Globalisierung eine gute oder
schlechte Sache?) und natürlich im Taxi, denn französische
Taxifahrer haben im Unterschied zu den Kollegen
in London zu jedem Thema eine Meinung (die sie auch
kundtun), und dem Fahrgast ist es nicht gestattet, hinter
einer Trennscheibe schweigend seinen Gedanken nachzuhängen.
Er soll etwas sagen!
Am Ende trägt der Engländer es mit britischem Humor.
Und als er sich nach einigen Irrungen und Wirrungen
Hals über Kopf in Sophie, ein reizendes und
etwas kapriziöses Mädchen verliebt, trifft britisches Understatement
auf französische Kompliziertheit und sorgt
zunächst für viele Mißverständnisse und Verwicklungen.
Bis am Ende alles in einer wunderbaren Entende cordiale
endet. Wenn auch nicht in einem Mini, sondern in einem
kleinen französischen Restaurant mit dem Namen
Le Temps des Cerises. Mit rot-weiß karierten Tischdecken.
In der Rue Princesse.
Meinem Restaurant! Daran gab es keinen Zweifel.
Ich klappte das Buch zu. Es war sechs Uhr morgens, und
ich glaubte wieder daran, daß Liebe möglich war. Ich
hatte 320 Seiten gelesen und war kein bißchen müde.
Dieser Roman war wie ein äußerst belebender Ausflug
in eine andere Welt - und doch kam mir diese Welt seltsam
vertraut vor.
Wenn ein Engländer ein Restaurant, das anders als
zum Beispiel La Coupole oder die Brasserie Lipp, nicht in
jedem Reiseführer zu finden ist, so genau beschreiben
konnte, mußte er schon einmal da gewesen sein.
Und wenn die Heldin seines Romans so aussah wie
man selbst - bis hin zu jenem zarten dunkelgrünen Seidenkleid,
das man in seinem Kleiderschrank hängen hatte,
und dieser Perlenkette mit der großen ovalen Gemme,
die man zum achtzehnten Geburtstag bekommen hatte,
so war das entweder ein riesengroßer Zufall - oder dieser
Mann mußte diese Frau schon einmal gesehen haben.
Doch wenn diese Frau sich an einem der unglücklichsten
Tage in ihrem Leben in einer Buchhandlung genau
dieses Buch aus Hunderten von anderen Büchern heraussuchte,
war das kein Zufall mehr. Es war das Schicksal
selbst, das zu mir sprach. Doch was wollte es mir sagen?
Nachdenklich drehte ich das Buch um und starrte
auf das Photo eines sympathisch wirkenden Mannes mit
kurzen blonden Haaren und blauen Augen, der auf einer
Bank in irgendeinem englischen Park saß, die Arme
lässig über der Rückenlehne ausgebreitet, und mich anlächelte.
Ich schloß einen Moment die Augen und überlegte,
ob ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte, dieses
jungenhafte, entwaffnende Lächeln. Aber solange ich
auch in den Schubladen meines Gehirns suchte - dieses
Gesicht fand ich nicht.
Auch der Name des Autors sagte mir nichts: Robert
Miller.
Ich kannte keinen Robert Miller, ich kannte eigentlich
überhaupt keinen Engländer - mal abgesehen von
den englischen Touristen, die sich ab und zu in mein
Restaurant verirrten, und diesem englischen Austauschschüler
aus meiner Schulzeit, der aus Wales kam und mit
seinen roten Haaren und den vielen Sommersprossen
aussah wie der Freund von Flipper, dem Delphin.
Aufmerksam studierte ich die kurze Biographie des
Autors.
Robert Miller arbeitete als Ingenieur für eine große englische
Autofirma, bevor er mit »Das Lächeln der Frauen« seinen ersten
Roman schrieb. Er liebt alte Autos, Paris und französisches
Essen und lebt mit seinem Yorkshire-Terrier Rocky in einem
Cottage in der Nähe von London.
»Wer bist du, Robert Miller?« sagte ich halblaut, und
meine Blicke kehrten wieder zu dem Mann auf der
Parkbank zurück. »Wer bist du? Und wieso kennst du
mich?«
Und plötzlich begann eine Idee in meinem Kopf
herumzugeistern, die mir immer besser gefiel.
Ich wollte diesen Autor, der mir nicht nur in meinen
dunkelsten Stunden den Lebensmut zurückgegeben
hatte, sondern auch auf irgendeine rätselhafte Weise mit
mir verbunden zu sein schien, kennenlernen. Ich würde
ihm schreiben. Ich würde mich bei ihm bedanken. Und
dann würde ich ihn zu einem ganz zauberhaften Abend
in mein Restaurant einladen und herausfinden, was es
mit diesem Roman auf sich hatte.
Ich setzte mich auf und zielte mit dem Zeigefinger
auf die Brust von Robert Miller, der vielleicht gerade
in diesem Moment irgendwo in den Cotswolds seinen
kleinen Hund ausführte.
»Mr. Miller - wir sehen uns!«
Mr. Miller lächelte mir zu, und ich zweifelte merkwürdigerweise
nicht einen Augenblick daran, daß es mir
gelingen würde, meinen neuen (und einzigen!) Lieblingsschriftsteller
ausfindig zu machen.
Wie hätte ich auch ahnen können, daß gerade dieser
Autor das Licht der Öffentlichkeit scheute wie die Pest.